Ayacucho - 2.000 Höhenmeter hoch, 2.000 Höhenmeter runter, wieder hoch, wieder runter, …. Das zehrt, kostet Kraft, zermürbt. Bleibe ich stehen, fallen in den tieferen Regionen sofort Schwärme von hundsgemeinen Stechfliegen über mich her. Ihre Stiche spürt man nicht sofort und Tage später hat man noch juckende Erinnerungen. In den oberen Regionen hängen die Wolken tief, es ist nasskalt und regnet viel.
Ich arbeite mich den 70 km langen Anstieg zum Pass hoch, halte Ausschau nach einem Zeltplatz, doch es scheint kein ebenes Fleckchen, das mehr als zwei Meter von der Straße entfernt ist, zu geben. Endlich seh ich ein kleines Hüttchen, will dort fragen. Es sieht verheißungsvoll aus. Eine kleine alte Frau sitzt vor der winzigen Lehmhütte, der Mann pflockt gerade die Kuh um. Natürlich kann ich hier zelten aber warum komm ich nicht ins Haus? Argatha und Marionello Fernandez, stellen sie sich vor. Wenn sie miteinander sprechen, so tun sie das leise, fast flüsternd, in einem warmen gütigen Ton.
Sie öffnen mir sofort die Tür zu ihrer Hütte. Ein paar schrumpelige Kartoffeln werden beiseitegeschoben, zwei alte Felle ausgebreitet und schon hab ich ein Nachtlager zu Füßen des Ehebettes. Wir wechseln noch zwei, drei Worte, dann sitzen wir schweigend vor der Hütte, trinken eine Tasse Tee und schauen in den letzten Sonnenstrahlen auf die verschneiten Bergspitzen in der Ferne. Eine friedliche Stille. Die beiden sitzen wohl jeden Abend so hier. Zu essen gibt es nix. Einmal am Tag, das muss hier reichen. Ich trau mir nicht meinen Kocher auszupacken, will sie nicht beschämen.
Als das letzte Tageslicht verschwunden ist legen wir uns hin. Ich kann natürlich nicht schlafen, habe Hunger, lausche auf das wispern und rascheln der Mäuse, dem leisen schnarchen von Marionello und versuch nicht an meine juckenden Stiche zu denken. Eine sehr lange Nacht … Am Morgen gibt´s wieder nur eine Tasse Tee, damit muss ich die letzten Meter bis auf den Pass raufkommen. Eine eindrückliche Erfahrung.
Unterwegs treff ich Leute, die „Fernweh-Menschen“ Mut machen. Ein agiles Rentnerpärchen aus Kalifornien, und Yannik, einen Franzosen mit dem Motorrad.
Die Rentner wollen im Café nur schnell eine Mail an ihre Tochter schreiben. Sie diktiert das Passwort, er gibt es mit spitzem Zeigefinger auf seinem neuen iPad ein. Es gelingt nicht. Immer wieder versuchen sie es, bis ich ihnen helfe. Mit leuchtenden Augen erzählen sie mir jetzt, dass sie für ein halbes Jahr nach Peru gekommen sind, sich als Volontär bei einem Kinderprojekt beworben haben. Sie sind in Eile, wollen zu „ihrem Projekt“ zurück. Ich rufe ihnen noch nach, wen sie denn wählen werden und schon von der anderen Straßenseite kommt die entrüstete Antwort zurück: Obama natürlich … Klar, wen sonst. Hätt ich mir ja auch denken können...
Jannik, der Motorradfahrer, ist ein grauer Wolf, ein Vagabund, ein Lebenskünstler oder auch einfach nur Fernwehsüchtig. Seit 8 Jahren ist er unterwegs. Mit seinem Laptop im Gepäck arbeitet er ab und zu als Webmaster, ist zwei, drei Monate pro Jahr in Frankreich, kehrt dann wieder zu seinem Motorrad zurück und streunt weiter durch die Welt. Er will mich an einem Seil über den Pass ziehen. Nach seinem GPS sind es nur noch 6 km. Ich lehne ab. Tatsächlich kurbel ich noch 26 km hoch – hätt ich mal …
Es ist eine unglaublich anstrengende, dafür aber umso schönere Strecke von Cusco über Abancay nach Ayacucho. Für die 560 km brauche ich fast 8 Tage, kletter fünf Mal über Pässe mit mehr als 4.000 m Höhe. Der Reiz liegt in der abrupten Abwechslung. Hinunter ins warme Tal, hinauf auf´s karge Hochplateau. Und auf jedem Pass steht man dann da und kann nur noch staunen. Die Welt liegt zu Füßen, ein unendliches Meer von Bergen reiht sich aneinander. „Passhopping“ könnte man die Woche auch nennen. Fast jeden Tag mindestens einmal auf über 4.000 m hoch und wenigstens 1.000 eher 2.000 Höhenmeter wieder runter.
Peru ist ein einfaches Reiseland. Die Menschen an der Straße begegnen mir munter und offen. Immer fragen sie nach dem Woher und Wohin. „Mamacita“ nennen mich die Frauen und stellen die immer gleiche wichtige Frage: „Solotido, no Amigo?“ Und dann machen sie voller Anerkennung leise „Tsssss“ oder sie schütteln fassungslos den Kopf. „Gringa!“ und da liegt alles Unverständnis ihrer Welt drin. Die Männer tragen meine Taschen, schieben mein Rad und manchmal grinsen sie etwas schief.
Was in anderen Ländern die Fernfahrer waren, sind hier die Straßenarbeiter. Sie geben mir Wasser, muntern mich auf, rufen immer wieder „Feliz viaje“ und versorgen mich mit garantiert falschen Kilometerangaben.
Als ich endlich Ayacucho erreiche bin ich froh. Ich muss durchatmen, brauch eine Pause.
Die Bilder Peru Teil 3 sind online.
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