28.06.2012
Land: Peru Peru
KM: 28.725

Cusco - Ländlich ist es, fast gemütlich. Das Getreide wird eingefahren, Kartoffeln geerntet, gescharrt und getan. Ein Bauer führt seine 6 Schweine spazieren, oder vielleicht eher umgekehrt. Sie zerren ihn Richtung Feld davon. Überall sieht man sie angepflockt stehen und gierig die abgeernteten Felder nach einer vergessenen Kartoffel umpflügen. Praktische Methode.

Ich treff einen Franzosen und er stellt recht trocken fest: „Peru ist ok“. Das klingt mir jetzt doch ein wenig zu hart und auch nach 5 Tagen in diesem Lande möchte ich mich dieser Meinung so nicht anschließen. Anders ist es, wie, weiß ich noch nicht.

Die Kinder sind wie so oft am lebendigsten. „Gringo, Gringo“ rufen sie schon von weitem und kommen stürmisch angerannt, auch das altbekannte „Hello Mister“ klingt an mein Ohr. Manche schwingen sich auf ihr Rad, hecheln hinterher. „Hola Senorita, solo?“. „Si, si“ entgegne ich und sie grinsen, machen „Oh“ und pfeifen, bevor sie ungestüm, nicht ohne noch ein kleines Kunststück vorzuführen, wieder abdrehen. Ich muss lachen und bin entrüstet. Haben diese 10jährigen Bengel gar keinen Respekt?

Ich bin auf dem Weg von Juliaca nach Cusco. 350 km sind es und ich will es in 2 ½ Tagen schaffen. Das ist zwar sportlich aber zu machen. Ich möchte mir die Halbfinale in Cusco gemütlich anschauen, nicht irgendwo auf einer winzigen Mattscheibe und schemenhaft. Doch verrückterweise treff ich plötzlich mehrere Reisende der Straße.
Ein Österreicher auf dem Weg nach Bolivien, der sich vor den Bergen scheut, ein Motorradfahrer aus Venezuela mit der Kamera unterwegs, der alles und jeden ablichtet, einen Franzosen, in gleicher Richtung wie ich, der sich als Tourist und nicht als Radfahrer bezeichnet und nicht mehr als 70 km am Tage fahren will. Mit allen halte ich natürlich einen längeren Plausch und mein Zeitplan gerät ins Schwanken.
Seit Peru kämpf  ich aus unerfindlichen Gründen auch täglich mit einem ordentlichen Gegenwind, der zum Nachmittag immer heftiger wird. Rabenschwarze Wolken blasen mich fast vom Rad. Nach 140 km und 8 Stunden auf dem Rad bin ich platt wie ein Frosch und schreie wütend dagegen an. Ein schmächtiges Bäuerlein auf einem klapprigen Drahtesel zieht leichtfüßig und mit einem gewissen Grinsen im Gesicht an mir vorbei. Jetzt schäm ich mich doch ein wenig, fahr demütig mit gesenktem Kopf weiter, bis ich endlich den kleinen Ort erreiche.
Eine Kanne Tee und 10 Stunden Tiefschlaf unter 4 Lamadecken richten die Dinge wieder. Verheißungsvoll strahlt mir ein sonniger Morgen entgegen. Und während ich gemächlich auf Sahneasphalt und mit einer sanften Steigung den letzten Pass vor Cusco hoch rolle, wird am Wegesrand Käse gerührt, werden Kühe gemolken, Alpakas umgepflockt. Ein friedlicher Anblick.
Doch die Freude währt nur kurz, der Wind lässt auch an diesem Tag nicht allzu lang auf sich warten. Bei der 40 km langen Passabfahrt mit 800 Höhenmetern muss ich ordentlich treten und mein Tacho kommt kaum über 15 km/h. Das ist schon mehr als unfair.

In den Orten, in die kaum ein Tourist kommt, geh ich in die üblichen Restaurants der Einheimischen. Sie sind gut besucht und beim ersten Mal setz ich mich spontan mit dem Blick zum Fenster - und schaue in 30 offene Münder. Alle starren fasziniert auf die schreiende Mattscheibe in der Ecke, vergessen ihr Essen. Erst jetzt fällt mir auf, dass alle in Reihe sitzen, niemand sitzt sich gegenüber, keiner spricht miteinander. Es laufen die üblichen Gameshows und irgendwelche schwachsinnigen Horrorfilme. Es ist ein fernsehverrücktes Land, ähnlich wie Chile.

Mit Anpfiff Portugal – Spanien erreiche ich Cusco. Mein Plan ist aufgegangen und jeder der das Spiel gesehen hat wird mir beipflichten, dass es sich dafür wohl gelohnt hat etwas kräftiger in die Pedale zu treten, auch wenn ich mir einen anderen Ausgang gewünscht hätte. Jetzt hoffe ich, dass die Deutschen ihre Neurose gegenüber den Italiener beiseitelegen und werde mich danach dem kulturellen Teil der Stadt und natürlich dem berühmten Machu Picchu widmen.

Doch erst einmal lege ich die Füße hoch und horche auf. Ein völlig unbekanntes Geräusch, das ich nicht einordnen kann. Ein deftiges Gewitter geht über der Stadt nieder, es hagelt und donnert gewaltig. Auch die Peruaner schauen ungläubig zum Himmel, die Kinder sammeln die Körner auf und lecken fasziniert daran, es scheint etwas Besonderes zu sein. Das Ganze aus meiner wohligen Perspektive zu beobachten hat was, auf dem Rad würd ich das sicher ganz anders sehen.

Die Bilder Peru Teil 1 sind online.



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Kommentare

Judy, 02-07-12 16:50:
die geschichte mit dem bauern auf dem rad.....köstlich
Franky, 29-06-12 10:13:
Hi Bettina,
hoffentlich hast du dich für´s Halbfinale nicht genauso geschunden:-(.
Super tolle Bilder und eine spannende Erzählung. Was bin ich begeistert von dem Titicacasee - aber See scheint mir leicht untertrieben...
WEiterhin viel Spass und eine gute Reise - wünschen Dir Keddy&Franky
Anne, 28-06-12 16:28:
Anders ist Peru den Bildern nach zu urteilen auf jeden Fall - schaut völlig faszinierend aus - irgendwie wie in gaaaaanz ganz alten Filmen - aber wunderschön! Wir drücken für heut abend auch alle Daumen, Jakob trägt schon fleißig sein Baby-Deutschland-Trikot und wir werden alle zusammen gucken und hoffen...
Janina, 28-06-12 14:18:
Ich denke, Peru hat noch deutlich mehr zu bieten, als die Ecke, die du bisher gesehen hast .... ich fand's damals sehr interessant, nicht nur o.k.

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