Zweieinhalb Stunden holpert der unerträglich vollgestopfte Minibus über die bucklige Piste hinauf in die Berge. Noch einmal so lang müssen wir auf schmalen Eselspfaden aus dem Tal aufsteigen, bevor wir die wahrlich abgelegene Farm etwas erschöpft und mit aufgeblähten Bäuchen erreichen. Das Brot vom Frühstück war wohl nicht so ganz durchgebacken aber Senora Viktoria, die seit mehr als 20 Jahren mit Gregorio hier lebt, weiß Abhilfe zu schaffen. Sie setzt uns eine abenteuerlich anmutende Plastikflasche voll dunkler Kräuter vor die Nase. Jeder muss einen kräftigen Schluck nehmen, zur Sicherheit sie auch. Es ist ein wahres Feuerwasser, treibt uns die Farbe aus dem Gesicht, lässt uns nach Luft schnappen, glättet aber im Handumdrehen den Bauch. Viktoria ist eine agile kleine Frau voller Energie und hat die Farm fest im Griff. Gregorio ist Künstler; Maler, Musiker, Bildhauer mit vielen internationalen Ausstellungen.
Kaum auf der Farm angekommen, bekomme ich meine erste Aufgabe zugeteilt, die mich dreimal kräftige Überwindung kosten wird.
Viktoria drückt mir einen noch blutigen Schafskopf in die Hand – das soll die Suppe für den Abend werden. Die Augen schauen mich blöd an und ich dreh den Kopp etwas unschlüssig hin und her. Über dem Feuer soll ich die Wolle abkokeln, das kostet Überwindung! Nach zwei Stunden hab ich´s zur Zufriedenheit geschafft.
Doch jetzt kommt die tatsächliche Herausforderung. Der halbgare Kopp muss nun gespalten und alles für die Suppe herausgekratzt werden. Das kann ich nicht! Nurka, die Peruanerin, greift beherzt ein. Irgendwie doch fasziniert von der Souveränität schau ich zu, wie sie mit einem Stein und geübten Handgriffen den Kopf zerteilt und die Augen herausdrückt. Mit einem Plopp fallen sie in den Topf. Das Feuer hab ich vergessen. Ein Blick von Norka und ich puste und blase. Doch nur beißender Rauch steigt auf, füllt sofort den gesamten Raum und brennt in den Augen. Norka schaut freundlich zur Seite, bis ich das Kuhfladenfeuer endlich wieder in Gang gesetzt habe. Auch nicht so einfach!
So langsam wird´s eine Suppe, riecht sogar gar nicht schlecht. Doch als sie auf dem Tisch steht wird´s wieder schwierig. Heimlich wünsche ich, dass mich kein Auge aus meinem Teller anschaut und schnell löffle ich im Halbdunkel alles auf. Nein, Nachschlag möchte ich nicht.
6 Uhr aufstehen. Bis das Frühstück auf dem Holzfeuer fertig ist vergehen 2 Stunden. Kühe werden gemolken, Hunde, Katzen und das dicke Schwein gefüttert. Das Frühstück ist eine Ansage: Erst kommt eine Portion Pellkartoffeln mit ein wenig Käse auf den Tisch, danach die Suppe vom Vortag, obenauf noch eine ordentliche Kelle eine Art Kartoffelbrei. Ich bin pappsatt und möchte bis zum Abend nicht an essen denken.
Heut ist Schafe hüten angesagt. Wird bestimmt ein gemütlicher Tag - doch schwer getäuscht. Die 120 dusseligen Schafe sind in ständiger Bewegung und ihnen in 4.000 m Höhe hinterher zu sprinten, ist mehr als nur anstrengend. Als endlich Mittag ist und Norka aus ihrem Rucksack ein paar Pellkartoffeln zaubert bin ich ganz schön dankbar. Müde kehren wir am Abend heim. Oft sind es dann 121 Schafe. Ich geb selbst nur noch ein „mäh“ von mir und bin froh, wenn ich kurz nach 8 Uhr in mein Bett schleichen darf.
Und dann gehen die Tage so dahin. Die Zeit beginnt zu fließen und es wird eine schöne Zeit. Nach all der Unrast die das Radfahren so mit sich bringt, kann ich mir kaum etwas Besseres antun also an so einem abgeschiedenen Ort inne zu Halten. 6 Menschen die in stiller Eintracht ihren täglichen Arbeiten nachgehen. 120 Schafe, 6 völlig verpeilte Hunde, 5 Katzen, ein dickes Schwein, 4 Stiere, 9 Kälber, 20 Kühe und 8 Pferde.
Die letzten 5 Tage lern ich das Leben im Rhythmus der Tiere noch einmal von einer ganz anderen Seite kennen. Irgendwie sind alle in die Winde zerstreut und ich steh mit Viktoria allein da. Sie versorgt Schafe, Hunde, Katzen und das Schwein, ich bleibe bei den Kühen und Pferden auf der Hochalm, schlafe in einem winzigen Hüttchen und habe alle Hände voll zu tun. 6 Uhr kommt Viktoria zum Melken, bringt die Suppe und die Kartoffeln für den Tag. Ich treibe die Pferde auf die eine Weide, sprinte über den Bergkamm zu den Kühen, die sich inzwischen weit über die Grenzen verteilt haben, sammle Holz, pflücke aus den hoch in die Baumgipfel hinaufgerankte wilde Maracujas und am Abend versuch ich schweißtreibend alle Tiere wieder einzusammeln. Eine wahre Herausforderung!
Viktoria schaut am ersten Abend von der Sorge um ihre geliebten Tiere getrieben noch einmal vorbei. Als sie sieht, dass alle wohlsortiert an ihrem Platze stehen, fällt sie mir um den Hals, lässt mich gar nicht wieder los. War es so schon ein schöner Tag, jetzt ist er noch schöner! Gemeinsam schauen wir dem glutroten Sonnenuntergang zu, bevor sie im silbrigen Mondlicht den Heimweg antritt und ich mein kleines Feuer schüre, Tee und Suppe wärme und Pellkartoffeln futtere.
Dreckig und gut durchgeräuchert aber mit frischer Lust auf´s Radfahren kehr ich nach Ayacucha zurück. Und ja, so sehr ich die Einsamkeit auch liebe: Ich freu mich auf eine heiße Dusche, ein Bier, einen riesigen Fleischlappen und ein duftendes Bett…
Die Bilder Peru Teil 4 sind online.
zurück
Kommentar hinzufügen